«Nicht jedes Jahr – aber unbedingt wieder»: Premiere-Erfahrungen eines geschlechtergemischten Lagers
Premiere unter besonderen Vorzeichen
Rund 300 Teilnehmende zählte das schweizweit grösste J+S-Lager des Jahres. Und Corona hatte auch hier die Finger im Spiel: Im Mai war klar geworden, dass das Kantonslager der Jubla Luzern ins Wasser fallen würde. Der Blauring stand ohne Hausreservation da, weil eine gemeinsame Zeltlager-Infrastuktur mit der Jungwacht geplant war. Die naheliegende Alternative: Für das Sommerlager trotz Kantonslager-Absage die Hauslagertradition aussetzen und dafür mit den Jungs von der Jungwacht ins Zeltlager fahren.
Die beiden Scharen waren in den vergangenen Jahren schon zusammengerückt: Vereinzelt hatte es gemeinsame Scharanlässen gegeben, unlängst war ein gemeinsam genutztes Jubla-Haus eingeweiht worden - freilich mit getrennten Stockwerken für Jungwacht und Blauring. Die Sommerlager aber blieben immer getrennte Welten - Welten mit ganz eigenen Geschichten und Traditionen, z.B. was die Unterbringung betrifft (Zelt vs. Haus), das Programm, die Regeln, die Umgangsformen und vieles mehr.
Im Juli 2020 sollte es nun also zur Premiere kommen: Gemeinsamer Lagerplatz, gemeinsame Lagerleitung, gemeinsames Programm, gemeinsame Kommunikation und eine gemeinsame Vision: Für die Kinder auch im Corona-Jahr unvergessliche Lagererlebnisse ermöglichen und gemeinsam die Jubla-Grundsätze leben. Getrennt blieben einzig die Schlafzelte, die Toiletten und die traditionsreiche Taufe der neuen Leitungspersonen.
Wie haben die Teilnehmenden das erste gemeinsame SoLa erlebt?
Delia Heller (Leiterin, 22)
Wie hast du das gemeinsame SoLa erlebt?
Sehr gut - wir sind wirklich zusammengewachsen und es war ein echtes «miteinander».
Was war anders als in anderen Jahren?
Es trafen zwei unterschiedliche Schartraditionen bzw. -Kulturen aufeinander, die ausgehandelt werden mussten. Und: es war lauter und rauher als in anderen Jahren.
Hast du beobachtet, dass sich Leitende oder Kinder anders benommen haben als letztes Jahr?
Weniger als ich erwartet habe. Bei den Geländegames gingen die Leiterinnen härter zur Sache als in den Jahren zuvor.
Hat dich persönlich die Umstellung eingeschränkt oder dir Neues ermöglicht?
Klar musste man sich beim einen oder anderen Thema etwas zurücknehmen und entgegenkommen. Das hat aber mehr mit den einzelnen Schartraditionen zu tun als mit den Geschlechtern. Der Austausch von «typischen» Programmteilen hat viel Neues ermöglicht.
Wo siehst du die Vor- und Nachteile einer geschlechtergemischten Jubla-Aktivität?
Vorteile: neue Programmpunkte und Tätigkeiten, wie z.B. das Handwerken, das wir im Blauring zuvor nicht gekannt haben. Hinterfragen und Überdenken der eigenen Schargewohnheiten, neue Freundschaften über die Geschlechtergrenzen hinweg.
Nachteile: Für einige schüchternere Mädchen war es etwas schwierig, weil sie im lauter gewordenen Lagerplatzleben etwas untergegangen sind.
Würdest du wieder ein gemischtes Lager wollen?
Ja, zum Beispiel alle 4 Jahre.
Janis Bernet (Teilnehmer, 13)
Wie hast du das gemeinsame SoLa erlebt?
Sehr sehr positiv. Es war ein schönes Zusammensein fast ohne Streit.
Was war anders als in anderen Jahren?
Bei den Geländespielen wurde mehr Rücksicht aufeinander genommen, z.B. was die angewendete Härte betrifft und dass man sich nicht überall anfassen darf. Das war auch so in den Lagerregeln drin. Es gab Dinge, die etwas komplizierter waren, aber mehrheitlich war alles wie immer.
Hast du beobachtet, dass sich Leitende oder Kinder anders benommen haben als letztes Jahr?
Ein bisschen schon. Die meisten wollen ja vor den Mädchen nicht «dr Tobu» sein und machen deshalb etwas weniger «Scheiss» als sonst. Auch die Wortwahl und der Umgang miteinander hat sich verändert: Man ging sanfter und respektvoller miteinander um.
Hat dich persönlich die Umstellung eingeschränkt oder dir Neues ermöglicht?
Für mich gab es keine Einschränkungen, sondern eher Gewinn: zum Beispiel neue Programmteile und typische Blauring-Aktivitäten, die wir jetzt auch mal machen konnten: Tanzen und Bändeliknüpfen zum Beispiel.
Wo siehst du die Vor- und Nachteile einer geschlechtergemischten Jubla-Aktivität?
Vorteile: Es ist abwechslungsreicher, der Zusammenhalt wächst auch ausserhalb des Scharlebens, das Lager ist grösser, es gibt neue Programmteile.
Nachteile: Die Jungs und Leiter sind mehr abgelenkt als sonst, z.B. wenn sie mit einem Mädchen sprechen, haben sie keine Zeit mehr zum Helfen. Manchmal warens mir auch etwas zu viele Leute.
Würdest du wieder ein gemischtes Lager wollen?
Ganz sicher ja. Am besten alle 3 Jahre, so dass man immer wieder auch mal unter sich ist.
Raphael Theiler (Leiter, 21)
Wie hast du das gemeinsame SoLa erlebt?
Sehr gut. Am Anfang mussten wir uns wegen den verschiedenen Scharkulturen etwas finden, dann wars aber schnell komplett durchmischt. Bei den Kindern gings noch etwas schneller als bei den Leitenden.
Was war anders als in anderen Jahren?
Zunächst mal die Grösse der Lagergemeinschaft (ca. 300 Personen!). Neu war auch, dass selbstverständliche Traditionen wie zum Beispiel die Tischreihenfolge / Tischrituale plötzlich zur Diskussion standen, weil Jungwacht und Blauring diese anders pflegen.
Hast du beobachtet, dass sich Leitende oder Kinder anders benommen haben als letztes Jahr?
Ja, zum Beispiel urinieren die Jungs nicht mehr an den Lagerplatzrand... Und auch sonst haben sich die Kinder mehr «zusammengerissen» als in anderen Jahren. Sie schienen etwas gehemmter zu sein als sonst. Neu war für mich auch das verliebte «Schwärmen» der Oberstufen-Teilnehmenden für andere.
Bei den Leitenden habe ich das weniger beobachtet, ausser dass die Leiter sich gegenüber den Mädchen zurückgehalten haben bei Geländespielen und auch bei der Wortwahl. Sie gingen sanfter mit ihnen um als mit den Jungs.
Hat dich persönlich die Umstellung eingeschränkt oder dir Neues ermöglicht?
Nein, keine Einschränkungen und kein Verzicht, sondern eher Gewinn, was neue Programmelemente und pädagogische Tipps und Tricks betrifft. Davon konnte ich viel profitieren.
Wo siehst du die Vor- und Nachteile einer geschlechtergemischten Jubla-Aktivität?
Vorteile: Es werden Klischees der so genannt «geschlechtertypischen» Aktivitäten aufgebrochen:Wir haben festgestellt, dass viele Jungs sehr gerne kreative Sachen machen und z.B. tanzen, was wir Jungwachtleiter ihnen bisher nicht geboten haben. Und vielen Mädchen scheinen die wilden Geländespiele und das Holzhandwerk zu gefallen. Ausserdem hat das gemeinsame Lager dazu angeregt, eigene Gewohnheiten zu hinterfragen.
Negativ, bzw. eine Herausforderung, aber von Geschlechtermischung unabhängig, war teilweise die Lagergrösse.
Würdest du wieder ein gemischtes Lager wollen?
Klar ja, z.B. alle 2 bis 3 Jahre.
Anina Erni (Teilnehmerin, 13)
Wie hast du das gemeinsame SoLa erlebt?
Wir hatten es sehr gut zusammen.
Was war anders als in anderen Jahren?
Das Klima war allgemein ein bisschen härter und rauer. Aber das kenne ich ja schon aus der Schule, wo wir auch Buben und Mädchen zusammen sind.
Hast du beobachtet, dass sich Leitende oder Kinder anders benommen haben als letztes Jahr?
Es gab z.B. mehr «Schätzelirunden», bei denen man sagen muss, wer wen toll findet.
Hat dich persönlich die Umstellung eingeschränkt oder dir Neues ermöglicht?
Für mich persönlich gab es keine Einschränkungen. Einige von uns Mädchen mussten sich aber schon etwas mehr wehren als sonst - oder sie zogen sich einfach mehr zurück.
Für uns Blauring-Mädchen gabs viele neue Erfahrungen wie zum Beispiel das Schlafen im Zelt, das gemeinsame Kochen über dem Feuer im Sarasani, neue Spiele und pioniertechnische sowie handwerkliche Aufgaben wie z.B. Blachenknüpfen oder Holzspalten.
Wo siehst du die Vor- und Nachteile einer geschlechtergemischten Jubla-Aktivität?
Vorteile: Alle haben richtig zupacken können beim Bauen oder auch bei den Geländespielen.
Nachteile: Für einzelne Mädchen war es nicht so lustig, da sie eher zurückhaltend sind.
Würdest du wieder ein gemischtes Lager wollen?
Sicher nicht jedes Jahr, aber gerne wieder mal z.B. in 5 Jahren, wenn ich dann Leiterin bin.
Aktualisierung Jubla-Haltungspapier Gender an der kommenden Bundesversammlung
Das Beispiel der beiden Ruswiler Scharen steht im Kontext eines Themas, dass nicht nur die gesellschaftspolitische Diskussion, sondern auch die Jubla als Verband beschäftigt: Im kommenden Oktober wird die Jubla-Bundesversammlung (bestehend aus Delegationen aller Jubla-Kantone) über einen Aktualisierungsvorschlag des Haltungspapiers Gender abstimmen. Dabei spielen Überlegungen bzgl. geschlechtergemischten und geschlechtergetrennten Jubla-Aktivitäten eine wichtige Rolle.
Hier die wichtigsten Schwerpunkte der Überarbeitung des Haltungspapiers Gender:
- Aktualisierungen gemäss aktuellem Stand der Wissenschaft und des gesellschaftlichen Diskurses
- Anpassungen an das seit 2018 gültige Jubla-Haltungspapier Öffnung & Integration, u.a. bezüglich Vielfalt von Geschlechtern (d.h. auch jenseits von binären Vorstellungen) und strukturelle Massnahmen zu deren Entfaltung
- Aufbrechen einschränkender Geschlechter-Stereotype (mit dem Ziel einer ganzheitlichen Förderung jeder einzelnen Person unabhängig vom Geschlecht).
- Überlegungen zur bewussten Mischung oder Trennung der Geschlechter bei Jubla-Aktivitäten
- Vereinbarkeit von Beruf, Privatleben und ehrenamtlichem Engagement
Das Haltungspapier wurde zum Jahreswechsel 2019/2020 bereits den Kantonsleitungen zur Vernehmlassung vorgelegt. Sie werden den daraus entwickelten Entwurf rechtzeitig vor der Bundesversammlung erhalten, um ihn mit den Schar- und Relei-Vertretenden zu beraten. Auf die vorgängigen Diskussionen und die Abstimmung an der Bundesversammlung dürfen alle gespannt sein.
Rückmeldungen und weitere Informationen
Rückmeldungen zu diesem Blogartikel oder Fragen zur anstehenden Haltungspapier-Abstimmung an: gender@jubla.ch
Informationen zum Thema Gender in der Jubla (inkl. aktuell noch gültiges, aber veraltetes Haltungspapier) findest du unter jubla.ch/gender