Die Jubla schreibt Geschichte(n) Teil II: Was geben uns Symbole und Traditionen – oder wieso auch die Jubla einen «Wilhelm Tell» in Grün hat.

Gehen wir diesen Fragen nach, merken wir, dass Symbole, Rituale und Traditionen stellvertretend für unsere gemeinsame Vergangenheit stehen. Sie sind also quasi Teil unseres gemeinsamen Gedächtnisses; ein Gedächtnis, das wir gemeinsam in der Jubla pflegen und über welches wir uns aktiv austauschen.
Geschichte verstehen und Identität finden
Wir haben heute keinen direkten Kontakt mehr zu den Gründer/innen der Jubla. Wir können uns daher auch nicht mehr aktiv mit ihnen über unsere gemeinsame Vergangenheit austauschen. Damit wir unsere Geschichte dennoch verstehen, sind wir auf Symbole, Traditionen und Rituale zur Überlieferung angewiesen. Sie helfen uns, eine lineare Geschichte aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu konstruieren, an der wir die Jubla-Identität in einem Fluss erzählen können. Symbole, Rituale und Traditionen sind also historische Identitätsmerkmale. Sie formen unsere Jubla-Identität und geben uns Halt.
Es handelt sich also bei weitem nicht nur Nostalgie – das Festhalten an Symbolen und Traditionen hat einen tieferen Sinn, wenn es um den Austausch über eine gemeinsame Vergangenheit geht.
Umdeutung und Aufladung – Das Beispiel mit dem Jungwacht-Grün
Doch wie genau funktioniert das mit dem Austausch über ein gemeinsames Gedächtnis? Das Beispiel Jungwacht-Grün soll veranschaulichen:
Das Jungwacht-Grün symbolisiert die Nähe zur Natur – die Naturverbundenheit der Jubla. Diese und ähnliche Interpretationen des Jungwacht-Grüns sind für uns alle klar, kritisch hinterfragt werden sie nicht. Auch haben wir uns mehr oder weniger darüber geeinigt, was das Jungwacht-Grün für uns bedeutet und wo seine historischen Wurzeln liegen, nämlich irgendwo in der Gründungszeit der Jungwacht.

Nun werfen wir doch wiedermal einen Blick in den Spiegel der Geschichte. Denn dieser zeigt uns der wahre Grund, der hinter dem Jungwacht-Grün steckt: Die Jungwacht schaffte sich grüne Hemden an, weil ein Stoffproduzent gerade noch ein paar Bahnen grüner Stoff übrig hatte, als man sich dazu entschloss, Jungwacht-Hemden zu produzieren. Seit an glänzte die Jungwacht in Grün. Die Farbe blieb bis heute – doch das gemeinsame Gedächtnis darüber ist heute ein anderes: Aus der pragmatischen Entscheidung zum Grün entstand eine schöne Geschichte über Naturverbundenheit.
Es ist nicht falsch oder verwerflich, dass wir Symbole und Traditionen aus unserer Verbandsgeschichte umdeuten oder mit einer anderen Bedeutung aufladen. Mythen, Rituale und Symbole geben Kraft und Halt. Ausserdem vermitteln sie uns sehr viel Sinnhaftigkeit, wenn sie uns dazu dienen, gewisse Dinge im Verband auch historisch zu legitimieren.
Dass für uns das Grün der Jungwacht für die Naturverbundenheit steht, zeigt einzig, dass dies für den Verband von heute ein wichtiger Wert ist. Ansonsten wäre diese Interpretation nicht so breit abgestützt. Was wir aber nicht tun sollten, ist unseren Vorgänger/innen dieselben Werte für dieselben Symbole zuzuschreiben und unreflektiert zu behaupten, dass z.B. das Jungwacht-Grün schon immer die Naturverbundenheit repräsentierte.
Übrigens – ich bin sicher, dass sich für den Blauring und deren Symbole eine genauso schöne Geschichte finden würde. Mir ist einfach gerade nur die Jungwacht-Version bekannt. :-)
Das Grün ist der «Willhelm Tell» der Jubla
Wir wissen nun, woher das Jungwacht-Grün stammt. Sollen/Dürfen wir nun dennoch an unserer Interpretation festhalten? Oder brauchen wir jetzt womöglich eine Symbolpolizei, die allen genau auf die Finger schaut?
Ich sage nein. Und hier kommt der gute alte Wilhelm Tell ins Spiel: Obwohl wir heute mit Sicherheit wissen, dass Wilhelm Tell nicht der Gründervater der Schweiz war, verharrt er noch immer im gemeinsamen Gedächtnis der Schweiz. Der Mythos und seine Symbolhaftigkeit dürfen bestehen bleiben, die Umdeutung darf stattfinden – es muss uns einfach bewusst sein, dass der Mythos mehr über die Realität der Gegenwart aussagt, als über die Realität der Vergangenheit.
Nehmen wir also auch hier wieder die Gegenwart zum Anlass, um über unsere Verwendung von Symbolen, Traditionen und Ritualen zu diskutieren und uns die Frage zu stellen woher sie kommen, was sie uns heute geben und wieso wir sie so verwenden, wie wir sie verwenden. Denn Antworten auf diese Frage stärken den Verband im Umgang mit seinen Symbolen, Ritualen und Traditionen.
In diesem Sinne Jungwacht treu – treu Jungwacht
